Mosaike der Legitimität: Akzeptanz und Legitimation jenseits des Nationalstaats

Mosaike der Legitimität: Akzeptanz und Legitimation jenseits des Nationalstaats

Organizer
Exzellenzcluster 16 „Kulturelle Grundlagen von Integration": Doktorandenkolleg „Europa in der globalisierten Welt“
Venue
Location
Konstanz
Country
Germany
From - Until
04.07.2014 - 05.07.2014
By
Doktorandenkolleg „Europa in der globalisierten Welt“

Die wissenschaftliche Beschreibung von Institutionen und ihrem Handeln war durchzogen von idealtypischen Vorstellungen. Die Mängel dieser Herangehensweise werden bereits in einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen verhandelt. An diese Kritik knüpft der Workshop „Mosaike der Legitimität“ an und möchte den Zusammenhang von normativer Legitimation und faktischer Akzeptanz bei der Generierung von Legitimität aus einer interdisziplinären Perspektive betrachten.
Nach jenen idealtypischen Vorstellungen ist das Handeln von Akteuren in einem gesellschaftlichen Bezugsrahmen einem eindeutigen Bewertungssystem unterworfen. Auf vertragstheoretischer Grundlage wird der Staat innerhalb seines Territoriums als jene höchste Gewalt gesehen, die allein über die Berechtigung verfügt, Gesetze zu erlassen und durchzusetzen. Die Kompetenz der UNESCO, als höchste Instanz zum Schutz des weltweiten kulturellen Erbes tätig zu werden, beruht auf einem ähnlichen Mechanismus, nämlich der Zustimmung der Mitgliedstaaten zu ihrer Verfassung. In beiden Fällen wird das Agieren der Institution nach ihrem jeweiligen Bezugsrahmen bewertet. Ihre Aktionen können Legitimität beanspruchen, wenn sie nach ihrem spezifischen Regelsystem, zum Beispiel gemäß ihrer Verfassungen, handeln.
Doch schon in dem geschlossenen Kontext solcher Institutionen zeigt sich ein Mangel dieses Modells, da selbst ein nach legitimen Verfahren innerhalb eines Bezugsrahmens entstandener Output nicht zwangsläufig Akzeptanz generiert, wie etwa schon das profane Beispiel von Steuerhöhungen zeigt. Kommt es zu Interaktionen von Akteuren, welche die Grenze eines Referenzrahmens überschreiten, ist auch schon die Inanspruchnahme von Legitimität nach diesem einheitlichen Modell nicht mehr möglich. Gerade in dem Moment, in dem die Grundlage von Legitimität in Frage gestellt ist, könnte die dennoch bestehende Akzeptanz durch die von der Handlung Betroffenen eine entscheidende Rolle spielen.
In diesem Sinne stellt der interdisziplinäre Workshop „Mosaike der Legitimität“ die Frage, in welchem konkreten Verhältnis normative Legitimation zur faktischen Akzeptanz steht. Dabei wirkt es, als ob die Elemente der beiden Prozesse eng miteinander verschränkt sind und nur bestimmte Konfigurationen in der Lage sind, Legitimität zu erzeugen - ähnlich einem Mosaik, dessen Gesamtbild sich nur aus der Summe seiner Steine ergibt.
Welche Steine müssen also für einen wirksamen Anspruch auf Legitimität gegeben sein? Welche sind die bestimmenden Faktoren für die Durchsetzung und den Fortbestand dieser Ansprüche über längere Zeitperioden? Ist eher der Output von Handlungen oder die Einhaltung gewisser Verfahren ausschlaggebend oder gibt es womöglich verschiedene pfadabhängige Modelle für die Generierung von Legitimität?
Diese Fragen sollen anhand unterschiedlicher Aspekte der Problematik in drei Sektionen näher beleuchtet werden. Dabei wird Legitimität innerhalb der Themenkomplexe kulturelles Erbe, Interventionen in fremden Territorien und Substituierbarkeit demokratischer Legitimation jeweils in einem internationalen Kontext diskutiert.

Sektion 1: ‚Wem gehört Kultur?’ – Zur Beziehung zwischen Anspruch und Anerkennung in der Debatte um das ‚kulturelle Erbe’
Um das Schlagwort des ‚kulturellen Erbes’ herum entspannt sich zunehmend ein mosaikartiges Gebilde, welches entscheidend vom Zusammenspiel der Elemente normativer Legitimation und faktischer Akzeptanz geprägt wird. Eine besondere Dynamik erhält dieses ‚Mosaik der Legitimität’ dadurch, dass es nicht in einen starren Bezugsrahmen oder ein eindeutiges Bewertungssystem eingebettet ist: Struktur und Gestalt der entstehenden Formation sind vielmehr durch das Zusammenwirken spezifischer Argument-Bausteine veränderbar. So sind die bisherigen Ansätze zur Gesetzgebung im Bereich des ‚kulturellen Erbes’ weder einheitlich noch umfassend oder präzise ausgestaltet. Dies hat zur Folge, dass die Bedeutung eines kulturellen Artefakts durch seinen Wert für eine bestimmte Gemeinschaft (subnational), seine Stellung im Gefüge der kulturellen Identität eines Staates (national) oder seine Einzigartigkeit innerhalb der Entwicklung der Menschheit (supranational) begründet werden kann. Daher beanspruchen neben staatlichen Institutionen auch regionale Interessenverbände und internationale Organisationen ein Mitspracherecht bei der Formulierung von nationalen Gesetzen und internationalen Vereinbarungen zum angemessenen Umgang mit Kulturgütern.
Die Argumente, die dabei zur Legitimation und Durchsetzung solcher Ansprüche herangezogen werden, sollen innerhalb des Workshops ‚Mosaike der Legitimität’ unter dem bewusst plakativ gewählten Titel ‚Wem gehört Kultur?’ diskutiert werden. Eine wichtige Rolle wird dabei die Annahme spielen, dass die Tragweite der Debatte um das kulturelle Erbe daher rührt, dass sich in diesem Themenfeld juristische, ökonomische, kulturelle und politische Aspekte vermengen. Anhand historischer und aktueller Aktivitäten kultureller Institutionen wie der UNESCO und Fallbeispielen aus der (inter)nationalen Gesetzgebung soll dabei untersucht werden, inwiefern sich in bestimmten Situationen spezifische ‚Mosaik-Muster’ ergeben.

Sektion 2: Substituierbarkeit demokratischer Legitimation in transnationalen Konstellationen
Werden bei der Ausübung von Hoheitsgewalt die Grenzen eines Nationalstaates überschritten, führt dies zu einer Abschwächung demokratischer Legitimation. Um verbindliche Handlungsanweisungen gegenüber dem Einzelnen dennoch rechtfertigen zu können, kann möglicherweise auf alternative oder zumindest ergänzende Mechanismen zurückgegriffen werden. Unter solche Mechanismen fallen zum einen rechtsstaatliche Elemente wie die Transparenz des Verfahrens, die Beteiligung der Betroffenen und die Möglichkeit einer (gerichtlichen) Kontrolle. Zum anderen wird eine output-orientierte Legitimation in diesem Zusammenhang diskutiert.
Sämtliche dieser alternativen Legitimationsmechanismen knüpfen bei den Betroffenen einer hoheitlichen Maßnahme und damit an ihrem Ergebnis an. Sie verfolgen einen anderen Weg der Rechtfertigung als eine demokratische Legitimation. Um eine Kompensationsleistung für deren Abschwächung erbringen zu können, müsste die Anknüpfung am Ergebnis einer hoheitlichen Maßnahme ein vergleichbares Ziel verfolgen wie die Rückführbarkeit einer Entscheidung auf das dem Gemeinwohl verpflichtete Parlament auf der input-Seite.
Die Frage stellt sich daher nach dem gemeinsamen Ziel demokratischer Legitimation und rechtsstaatlicher sowie output-orientierter Legitimationsmechanismen. Es könnte in der Akzeptanz oder zumindest Akzeptabilität der Einschränkung der persönlichen Freiheit des von der hoheitlichen und damit verbindlichen Handlungsanweisung Betroffenen bestehen, die über ein Zusammenspiel der verschiedenen Mechanismen erreicht werden kann.
Den Zusammenhang zwischen normativ basierter Akzeptabilität oder Billigungswürdigkeit und faktischer Akzeptanz zu hinterfragen und die Notwendigkeit eines solchen Zusammenhangs zu untersuchen, soll Gegenstand dieser Sektion sein.

Sektion 3: Legitimität von Interventionen in fremden Territorien
Im kontraktualistischen Bild der europäischen Staatslehre stehen Legitimation und Akzeptanz in einem leicht nachvollziehbaren Zusammenhang. Über ein vom Volk erteiltes oder erworbenes Mandat erhält der Staat ein Rechtsetzungs- und Gewaltmonopol, das all seinen innerstaatlichen Ansprüchen Legitimität verleihen sollte. In vielen historischen Fallbeispielen zeigen sich jedoch weit komplexere und verworrenere Mosaike.
Selten war ein Raum wirklich abgeschottet und staatliche Souveränität wurde frühestens mit dem westfälischen Frieden imaginiert. Eine normative Legitimation ist zudem in Räumen, in denen verschiedene, sich manchmal wechselseitig nicht einmal ausschließende Souveränitätsansprüche gestellt wurden, nicht einfach festzustellen. So übten beispielsweise europäische Imperien im 19. Jahrhundert Souveränität oder Rechtsprechung über Menschen jenseits ihres Staatsterritoriums aus, was ihnen auch vertraglich zugesichert wurde, während zugleich ein lokaler Herrscher aufgrund traditionelle und religiöse Ansprüche als Souverän dieses Gebietes galt. Interessant daran ist, dass trotz fehlender oder zweifelhafter normativer Legitimation viele der Verwaltungsverfahren dieser Imperien akzeptiert wurden.
Ziel dieser Sektion ist es, einen Bestand dieser politischen Intervention aufzunehmen und gleichzeitig festzustellen, wie innerhalb dieser prekären politischen Verhältnisse dennoch Legitimität und Akzeptanz für einen Eingriff geschaffen wurde oder auch wie ein solches Unterfangen scheiterte.

Programm

Freitag: 04.07.14

09:45: Ankunft, Begrüßung und Kaffee

10:15: Einleitung (Organisatoren - Egner, Kiesel, Meyer)

11:15: Sektion I: ‚Wem gehört die Kultur?’ – Zur Beziehung zwischen Anspruch und Anerkennung in der Debatte um das ‚kulturelle Erbe’

Ferdinand Kiesel (Konstanz):
Wem gehört die Vergangenheit? Umkreisungen eines Problemfelds

Prof. Dr. Markus Tauschek (Kiel):
Kontaktzonen? Zur bürokratischen Ordnung kulturellen Erbes

Kaffeepause

Dr. Stefan Groth (Göttingen):
Normative Forderungen über Kultur als Themenfeld transnationaler Kooperation

13:30: Mittagsessen

15:00-16:30: Sektion II: Substituierbarkeit demokratischer Legitimation in transnationalen Konstellationen

Katharina Meyer (Konstanz):
Funktionale Äquivalente demokratischer Legitimation in transnationalen Konstellationen - Funktion demokratischer Legitimation?

Dr. Enrico Peuker (Jena):
Demokratische Legitimation und bürokratische Legitimität der europäischen Verbundverwaltung

Kaffeepause

Dr. Clemens Feinäugle (MPI Luxemburg):
Die Legitimation der Ausübung von Hoheitsgewalt in den Vereinten Nationen

19:30: Abendessen

Samstag: 05.07.14

09:00: Sektion III: Legitimität von Interventionen in fremden Territorien

Prof. Dr. Wolfgang Weber (Augsburg):
Zwischen Gebotevollzug und Staatsräson: Legitimationsfiguren auswärtiger Intervention in der frühneuzeitlichen Politischen Theorie

Wolfgang Egner (Konstanz):
Unter europäischem Mandat – die gescheiterte Legitimierung des Einmarsches in Bosnien-Herzegowina

Kaffeepause

Prof. Dr. Matthias Schulz (Genf):
Paradigmen der humanitären Intervention im 19. Jahrhundert

11:15: Mittagsimbiss

12:15: Kommentar Prof. Dr. Stollberg-Rilinger und Abschlussdiskussion

13:45: Ende

Contact (announcement)
https://exzellenzcluster.uni-konstanz.de/54.html?&cHash=daf6ec81a8cdc91c66be59ead52b39cd&tx_ttnews%5BbackPid%5D=137&tx_ttnews%5Bday%5D=04&tx_ttnews%5Bmonth%5D=07&tx_ttnews%5Btt_news%5D=2210&tx_ttnews%5Byear%5D=2014
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Published on
01.06.2014
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